Stell dir vor:

 

du wirst eingeladen an einer guten Sache mitzuarbeiten
unentgeltlich
einige Monate lang
mit viel Einsatz, meist mehr als 8 Stunden pro Tag, 10, 12, 16
es wird auch die eine oder andere Nacht durchgearbeitet.
Freie Tage gibt es nicht, denn die Sache drängt.

Selbstverständlich mußt du für deine Lesbenshaltung selber aufkommen, denn die Sache ist arm,
also Kleidung, Miete, Essen u.s.w selbst besorgen
auch deinen Haushalt mußt du selber führen
putzen, waschen, Ordnung halten,
denn andere für sich arbeiten zu lassen ist verpönt,
insbesondere bei "niedrigen" Arbeiten.

Weil es eine ständige Finanzennot gibt
wird von dir erwartet, daß du für die Sache etwas spendest,
mal mehr, mal weniger.

Dein Arbeitsgerät mußt du auch mitbringen: es mangelt an allem.

Dennoch, die Arbeit macht dir Spaß und ist sinnvoll.

Das finden aber nicht alle: sie kritisieren dich.
Mal zu recht, mal ungerechterweise.

Die Sache läuft nicht immer gut - es gibt Pannen,
umsomehr, je mehr wegen Geldnot improvisiert werden muß.
Aber auch die beauftragten Firmen sorgen für Chaos und Verluste.

Gerät die Sache dadurch ins Schleudern
brauchst du dich nicht um die Spötter zu sorgen:
die gibts reichlich.

Du tust was du kannst - und etwas mehr.

Weil es richtig war, die Sache zu unterstützen,
tust du es ein weiteres Mal und noch einmal und noch ein paarmal.

Verschleiß stellt sich bei dir ein.

Deine Nerven werden dünner und das Loch im Geldbeutel tiefer.

Aber die Sache ist immer noch gut und verlangt Fortgang.

Leider gibt es niemand, der mit dir tauschen möchte.
Warum nur?
Schließlich ist es doch eure gemeinsame Sache.

Nach den ganzen Jahren hast du viele Erfahrungen gesammelt.
Die würdest du gerne weitergeben - aber niemand will sie.
Sie sammeln sich bei dir an und machen dich zum Spezialisten.
Auf Spezialisten kann mensch nicht verzichten:
alle wollen daß du weitermachst; ein Jahrzehnt ist vergangen.

Du findest die Sache immer noch wichtig und wert getan zu werden.
Nur: du mußt noch mehr arbeiten als anfangs
und noch mehr drauflegen.
Auch ist deine Gesundheit nicht mehr die beste.

Vielleicht solltest du besser aufhören?
Für dich wäre es besser.
Für die Sache wäre es schlecht. Glaubst du.
Darum machst du weiter, auch wenn und wo es nicht mehr geht.

Die Spötter nehmen zu, denn du wirst immer schlechter
mit der noch immer wachsenden Arbeit fertig.
Auch hast du Schwierigkeiten deinen Lebensunterhalt zu fristen.
Deine Wohnung ist verwahrlost, weil du alles
Zeit und Geld in die Sache steckst.

Stell dir vor
du hast dennoch Gründe, gute Gründe
diese Sache, die du einmal angefangen hast, weiterzumachen.
Stell dir vor
daß dich all die Zeit
immer nur ein paar wenige darin unterstützt haben
und immer nur ein Stück des Wegs,
stell dir vor du alleine bist übrig geblieben
auf dem Weg
und nur wenige leisten dir zeitweise Gesellschaft
und helfen mit, die Sache voranzubringen.
Stell dir vor
der Weg ist noch lang, sehr lang,
und es gibt einen Horizont
und es gibt eine Sonne.

Wie weit werden dich deine Füße noch tragen?

 

8/2/2000 R@lf G. Landmesser